Die tanzende Figur – Verhältnisse (Text zur Grassi Lesung)

Mich selbst umarmend, wie die Figur „Erwachen“, die ich im Grassi-Museum betrachte, strahle ich meine Gefühle aus in die Welt. Das, was darunter liegt, ohne zu lauern, umarme ich. Das, was dahinter und davor liegt, umarme ich, um zu Hoffen. Selbst gehärtet, geschmiedet, um zu schmelzen. Selbst umschlungen, in der Sonne gebrannt und ummantelt mit diesen Worten.

Auf dem Weg zum Museum. Es sitzen an einer Haltestelle ein Vater und sein ungefähr drei Jahre altes Kind. Gegenüber auf der anderen Seite, ein älterer Mensch im Rollstuhl. Das Kind ruft ihm entgegen: „Hallo!“ immer wieder „Hallo!“ und sagt dann zu seinem Vater: „Er sagt nichts, er spricht nicht mit mir.“ Eine Antwort des Vaters entgeht mir oder bleibt aus. Ich muss schmerzlich lächeln, ob der Versuche miteinander ins Gespräch zu kommen, über die unterschiedlichsten Entfernungen hinweg.

Im Museum steht eine tanzende Figur aus Keramik. Sie wurde erdacht, geformt, gebrannt, glasiert, gebrannt. Sie ist schön anzusehen. Ein Objekt umgeben von Glas. Daneben steht eine Dose, welche ich fast nicht beachtet hätte. Die Bewegung eingefroren in Materie fängt meinen Blick. Später zwei Gazellen, im Sprung dargestellt. Daneben steht auf der Glasscheibe: „Buchstützen in Form springender Gazellen, Bookends, Marcel Bouraine, Paris, um 1925, Messing, gegossen, versilbert, Marmor. …“ Konserviertes Wissen gestützt durch sprintende versilberte Gazellen. Nun im Grassi-Museum ausgestellt ohne Bücher, in ewig gleiche Bewegung gegossen.

In mir bewegen sich die Gedanken: Tanz ist Moment und will erinnert werden, um sich fortzusetzen. Sich bewegende Erfahrungen in Objekte geformt ausgestellt, beobachtet. Ich stelle mir vor, ich sei in Bernstein eingeschlossen, würde Jahrhunderte überdauern, dann wäre aus einer DNS-Probe ein Klon von mir herangezüchtet worden von den Wissenschaftler*innen oder den Unternehmer*innen der Zukunft. Während der Bernstein, der mich enthält, weiter im Museum ausgestellt wird, besuche ich ihn als Kopie meiner Selbst, betrachte ihn.
In einem ewigen Gegenüber sehe ich mich eingefroren in der Zeit, um wiedergeboren zu werden, nach meiner Zeit. Wer bin ich? Subjekt, Objekt, Kopie, Original? In welchem Verhältnis, stehe ich zu mir und der Zeit, in der ich mich befinde?

Ich bin ich. Während ich mich betrachte, gehe ich weiter, ich sehe die tanzende Figur, die Buchstützen, ich fange an zu rennen, heraus aus den Räumen, die Treppenstufen hinunter, vorbei an den Menschen, die in die Glaskästen schauen, vorbei an Statuen, welche mir hinterherträumen. Ich trete auf den Vorplatz des Museums und sehe mich um, ohne die Erinnerungen meines Alten Ichs. Voll von angestauten Potenzialen, renne ich los.

Johanna nion Blau, 08.08.2025, entstanden nach Schreibworkshop im Grassi-Museum

Run Girl Run

You know what I’ve been through
You’ve been through it yourself

Run Girl Run
Put your heart on a shelf
‘Till it is safe to feel again
‘Till you are seen and loved

By yourself and someone else
It is possible, it is a craft
He did never learn

So Run Girl Run
You don’t have to earn:
Love, Attention, Trust or Truth
This is a dead end
U-turn and start again

Run girl Run
Till a bright eye meets you on the way
Wishes you the best
And loves you all the same

Johanna nion Blau, 20.08.2025

Anstoßen

Ich stoße öfter an Dinge.
Oder stoße ich eher Dinge an,
Da ich mich nicht mehr klein mache?
Ich ecke öfter an Menschen an.
Oder stoße ich sie eher ab,
Weil ich mehr ich selbst bin?
Ich fühle mich hingezogen, angezogen, ungezogen, ungelogen.
Und die Menschen, die bleiben, feiern mit denen, die dazustoßen,
Um anzustoßen.
Johanna nion Blau, 18.08.2025

Text übers Versuchen

Es gab eine Ausschreibung vom edit Magazin und der rotorbooks Buchhandlung in Leipzig. Mensch sollte einen Essay zum Thema „Grenzen“ einreichen. Ich habe es versucht, habe einen Versuch darüber geschrieben, wie ich zu leben, zu überleben versuche in der Arbeitswelt, in der Welt an sich als Mensch, als mich antreibende Kraft, und ich habe darüber geschrieben, was mich hindert. Diesen Text mag ich vor allem, weil ich ihn eingereicht habe. Ich habe mich getraut, etwas zum Thema „Grenzen“ zu konzipieren, zu schreiben, einzureichen und mich damit dann bewerten zu lassen.
Als ich vor ungefähr zwei Wochen meine neue E-Mailadresse mitgeteilt habe, kam die Absage. Das hat mich getroffen. Der Text ist sehr persönlich und zeigt gleichzeitig gesellschaftliche und politische Missstände auf. Dann wieder habe ich beim Schreiben zum Thema nicht diese Stimme gefunden, die ich manchmal schaffe niederzuschreiben, wenn ich drauflosschreibe, ohne thematische Begrenzung und ohne ein gedachtes bewertendes Gegenüber, für das ich schreibe. Ich finde die Sprache, die ich in diesem Essay verwende, hölzern, den Satzbau zu reduziert, die Argumente versuchen für sich zu sprechen, aber schaffen sie das auch? Ich werde diesen Text auf meinem Blog veröffentlichen, ohne weitere Bemerkung außer diesen Text hier übers Versuchen. So dankbar bin ich für die Möglichkeit in diese gefühlte Leere zu schreiben, dann ein paar Mausklicks, es ist online und ihr könnt es lesen. Das macht mich zufrieden. So will ich schreiben. Vor allem so, dass es für mich passt. Wenn dann Menschen, was damit anfangen können, ist es wunderbar.

Liebe Grüße, Johanna Blau

„Nie wieder“ ist jetzt

Ein Auto fährt unter meinem Fenster vorbei, daraus ertönt: „Fuck you I won‘t do what you tell me!“ Der Song heißt „Killing in the Name“, die Band, die ihn in den 1990ern geschrieben hat und damit aufgetreten ist, heißt: Rage Against The Machine. Gerade befinde ich mich in einem Zustand, der schwer zu fassen ist; kurz vor der Resignation, kämpferisch auf meine Art noch und mit weitestgehend klarem Verstand, versuche ich die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, die auf unsere Gesellschaft und Umwelt gerade einwirken. Ich schaue mir Dokumentationen an, scrolle durch Instagram und lerne investigative bürgerjournalistische Kooperativen wie Bellingcat kennen. Dann sehe ich erschütternde Videos von Menschen in den USA, die um die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land bitten und Leute weltweit darauf aufmerksam machen, was in den USA gerade abläuft. Eine heldenhafte Person stellt sich der ICE entgegen mit ihrem Smartphone und hat Erfolg. Andere weinen in ihren Autos und machen auf katastrophale Entscheidungen der US-Regierung aufmerksam, die sie meist selbst in großen Ausmaßen betreffen. Mich bewegt die Unmittelbarkeit dieser Nachrichten von betroffenen Menschen, die zeigen, wie einer der mächtigsten Staaten der Welt vor den Augen der Welt in eine faschistische Gesellschaftsordnung umgewandelt wird. Und alle schauen zu?

Gestern bei einem Konzert in Connewitz, waren nur wenige Leute im Publikum. Doch die Band „War/Plague“ hat mich trotzdem oder gerade deswegen mitgerissen. Die Angst und Wut, die Sorgen und Hoffnungen, welche ich hege wegen aktueller politscher Entwicklungen weltweit, das alles kam hoch, da die Band es mit ihren Songs geschafft hat, das alles in mir zu aktivieren nach und nach. Es war eine kathartische Reise innerhalb einer halben Stunde. Ich musste an die USA denken. Die Band selbst kommt aus Minneapolis. Wie lange haben Menschen wie sie davor gewarnt, was jetzt wahr geworden ist und noch wahr werden könnte?

Schon lange nagte der Kapitalismus in der patriarchalen Ordnung, in der wir alle organisiert sind, an den Menschenrechten, an der Gewaltenteilung des Staates und am Schutz unserer natürlichen Ressourcen und schon lange wurde von einigen wenigen reichen und mächtigen Menschen versucht, die Menschheit zu spalten und die Deutungshoheit über die Wahrheit zu erlangen. Ich sage von mir nicht, dass ich das alles durchschaue oder alle Antworten habe. Ich schreibe aus dem Impuls heraus, meine Gedanken zu sortieren und für mich klar zu bekommen, was hier gerade passiert. Und ich komme zu dem Schluss, wie viele andere antifaschistisch denkende Menschen: „Nie wieder“ ist jetzt!.

Das, was weltweit in verschiedenen Ausprägungen und Ausmaßen gerade geschieht, ist ein gewaltiger Wendepunkt.  Wir Menschen, welche jetzt leben, haben meiner Meinung nach die Verantwortung, sich dem versuchten Umsturz von Demokratien, der Verbreitung von Desinformationen und den offenen Drohungen gegen freiheitliche Gesellschaften entgegenzustellen. Was uns sonst droht, das steht vielleicht schon in Büchern wie 1984 von George Orwell, Huxley‘s „Schöner Neuer Welt“ oder in Margaret Atwood’s „Der Report der Magd“. Die Dystopien drohen Wirklichkeit zu werden, gerade weil darin Sachverhalte beschrieben werden, die irgendwo und früher schon einmal passiert sind. Orwell sagte einmal, sein Buch war nicht als Anleitung gedacht und ich geh mit Prof. Dr. Maja Göpel mit, die bei der Re:publica‘25 in ihrer tollen Keynote Rede unter anderem sagte, es braucht eine Aufmerksamkeitsökonomie hin zu dem, was zukunftsfähig und friedfertig ist. https://www.youtube.com/watch?v=f24LHpFbga8 Her mit dem schönen Leben ist keine leere Phrase für mich. Aber wir müssen auch Zeug*innen sein, von dem, was gerade passiert und auch immer bereit uns auf die Seite der Menschen zu stellen, die marginalisiert werden, die verfolgt, verletzt, getötet werden, in den Selbstmord getrieben werden und auf die Seite derer die verschwinden, ohne eine letzte Nachricht hinterlassen zu können. Und am Ende könnte es uns treffen. Die Menschen in den Instagram Posts, die ich mir anschaue, die vor Ort als Zufallsjournalist*innen von Unrecht, von Gewalt und von Verzweiflung berichten, diese Menschen könnten bald wir selbst sein. Deswegen gibt es gerade für mich keine Nichtbetroffenheit. Die Bedrohung ist global, die Antwort muss ein Zusammenhalt sein, der sich über den Globus spannt, eine Solidarität, die uns alle eint und eine Stimme die vielfältig in den schönsten Tönen antwortet auf das Grau der Anzüge , der Uniformen und Dienstwagen und die einheitliche arbeitssame Stille, die uns allen droht, wenn wir denn fähig sind zu folgen.

Johanna nion Blau, 11.07.2025

Von allen fern – Wachsen und Warten 2

Ich fühl mich von allen fern,
Freund wie Feind
Und spüre diese Leere
Die Höhle wo mein Herz gewohnt
Füllstoff Genussstoff
Ohne Fühlen ist mir ungewiss
Was ich will, wer mir gut gesonnen
Was werde ich gewonnen haben
Wenn aus der Leere mir ein neues Herz erwächst?
Welches endlich wählt
Ein Herz, das endlich erwählt und dann seinem fühlenden Willen stärkend folgt.
Die Folter, darauf zu warten, füll ich mit Träumereien
Ich fühl wachsend den nie gesehenen wundervollen Garten

Johanna nion Blau, 24.05.2025

An army of suits

An army of suits
Traitors like sharks in minor facilities
Tailors honest to be seen
But they also need this money
Covering up naked lies with expensive fabrics, so clean
I serve them with my mouse clicks, they answer so mean

In my heart I want to be saved
But nobody can save me but me
The outside world is going to be craved
They have raised the fee

The hood is not serving any more
Riches over riches leave the poor
My heart beats to the beat of congregation
No power for a nation
No power for the industry
Plug them all out, set ourselves free

Stop the sellout of the planet,
the people, the animals, the plants,
Don’t cover lies with bullying
Tons of miles to go, but I am in
Community is what we care for, we don’t buy their rants anymore

In a world where separation is the fuel of a fossil nation,
Don’t leave me alone, I am sure
I am sure about the power of belonging
I am sure about creating songs, so together we can sing
Against an army of suits, with their deep pockets.
With their dysfunctional rockets.
Power again to the people, let’s roar

You know what: do leave me alone
To Plan a fine revolution,
To plot for a strong wing of love, of understanding.
We will
We will
We will eventually
We will eventually overcome

Johanna nion Blau
01.03.2025