Gerade lese ich „In all deinen Farben“ von Bolu Babalola. Darin kommen mythische Gestalten vor, die mal mehr mal weniger bekannt sind. Die klassischen Sagen wandelt Bolu Babalola so um, dass es einfach Spaß macht die Entwicklungen zu verfolgen. Da ist zum Beispiel Psyche, die für einen Verlag namens Olymp arbeitet und ihren Kollegen Eros anhimmelt. Das Happy End, dass sie sich verdient haben, bekommen sie auch und das tut so gut zu lesen.
Voll von tragischen Liebesgeschichten ist mein Kopf. Ich will ihn schütteln, alles heraus katapultieren, was sich da so angesammelt hat über die Jahrzehnte. Alle Erfahrungen, Verhaltensregeln, Regeln fürs „rarmachen“, fürs Flirten, für Partnerschaften, für die Zeit der Trennung. All das will ich auf hoher See über Bord werden, so dass sich da die Tiefseebergbauern damit auseinandersetzen können.
Ich möchte neu beginnen. Mit allem, vor allem mit der Liebe. Dabei spielt die Liebe zu mir selbst eine große Rolle. Es hat angefangen mit Akzeptanz mir gegenüber. Meine „Macken“ oder vielleicht einfach Besonderheiten habe ich besser ertragen. Ich habe mich nicht mehr schuldig gefühlt, Eis zu essen in der Öffentlichkeit oder früher als alle anderen eine Party zu verlassen. Ein Freiheitsgefühl war die Belohnung für dieses Verhalten meinerseits. Diese Freiheit zu gehen oder zu bleiben, möchte ich nicht mehr missen.
Die Freiheit mich auszudrücken, ist mir ebenfalls wichtig. Mal trage ich im Sommer ein Kleid, dazu offene Haare, dann wieder Kurze Hose, mit Oberteil. Ist es ein Vorteil, dass mein Körper als weiblich eingestuft wird und es nicht ins Gewicht fällt, was ich trage? Ich kann ein Sakko anziehen, niemand würde sich beschweren, wenn aber eine männlich eingestufte Person ein Kleid trägt, und Lippenstift fragen sich viele, welche Sexualität die Person hat. Das finde ich so traurig und auch schädlich. Ich will für alle die Freiheit, Kleidungsstücke danach auszuwählen, wonach ihnen der Sinn steht. Kein Kleidungsstück sollte einem bestimmten Geschlecht vorbehalten sein, so sieht es auch Künster*in Alok Vaid-Menon. Or to say it with Ru Paul’s words: “We’re all born naked and the rest is drag.”
Wenn ich ein Sommerkleid anziehe, Lippenstift auflege und rausgehe in die Welt, dann cross dresse ich. So fühlt es sich für mich an. Alle anderen sehen eine cis-Frau, die sich schick macht. Aber für mich ist es einfach anders. Und das Menschen zu erklären, finde ich kompliziert. Aber ist es das?
Ich bin genderfluid. Der Überbegriff ist nicht-binär. Also ordne ich mich nicht entweder dem Geschlecht weiblich oder männlich zu, sondern etwas darüber hinaus, drum herum, dazwischen. Das ändert sich täglich und die Übergänge sind fließend, also fluide. Es ist für mich wichtig, mich damit zu beschäftigen. So viele Rollenbilder, in die andere Menschen mich einsortieren möchten, sind für mich zu eng, zu langweilig oder einfach zu unpassend.
Mein Körper hat große Brüste, Kurven und eine ausladende Hüfte. Meine Mutter sagte früher oft zu mir, ich hätte ein „gebärfreudiges Becken“. Ich wirke also sehr „weiblich“. Dazu habe ich lange Haare, trage manchmal Lippenstift und selten Wimperntusche.
So komplex das erscheint, ich habe Worte dafür. So kompliziert das für andere klingen mag; für mich fühlt es sich endlich schlüssig an. Für mich ist es wichtig und ein Privileg, dass ich mich in meinem Körper wohlfühle. Für mich ist es aber auch eine Herausforderung zu flirten, einem Menschen zu zeigen, dass ich Interesse an ihm habe. Eine Verbindung aufzubauen zu Leuten, die nicht rein platonisch ist.
Ich bin froh, dass ich jünger aussehe als ich bin, da ich noch so viel erleben möchte und ich mir vorstelle, dass das für einen Menschen jenseits der Wechseljahre vielleicht nicht mehr so einfach wäre. Berichtigt mich da gern. Es ist eine Angst, die ich hege. Und ich bin froh, dass trotz oder gerade wegen des faschistoiden Backslashs, den die LGBTIAQ+ Community weltweit aktuell leider wieder erfährt, Menschen für ihre Rechte kämpfen, zu lieben, zu leben, Kinder aufzuziehen, miteinander alt zu werden; Menschenrechte eben.
Trotz all dieser Neugier ist da ein tiefes Verlangen nach einer festen, langfristigen Partnerschaft, den Hafen wie es Mascha Kaléko nannte, den Anker auf hoher, stürmischer See. Den Hauptgewinn aller Glückspiele dieser Welt. Hauptsache ich kaufe ein Los. Vielleicht ist dieser Text eins. Wer weiß.
Happy Pride Month! Und einen großartigen CSD allen, ohne Zwischenfälle, mit viel Liebe und Freude in einer bunten, freien Gemeinschaft.
Johanna nion Blau, 21.06.2025
