Morgenröte in scheelen Landen

Hart an der Grenze, bremst mein heiliger Wagen.
Ich kann nicht sagen, ob das reicht für heute.
Wer von mir weicht, wer mich erreicht,
Mit Worten oder Taten:
Der*die erbleicht oder errötet vielleicht.
Hingerotzt meine Antwort;
Auf Pein oder Argwohn oder Kummer.
Rede mit Mir!

Der Wirbelsturm, der mein Rückgrat brechen wird,
Ist hoffentlich noch nicht geboren.
Ungesühnt die hybriden Stunden.
Völlerei statt Verlangen.
Keime im Guten wie im Schlechten.
Ich sehe nach dem Rechten und erstarre,
Solange ich auf „Freeze“ geschaltet bin,
Verwalte ich mein Leben, wie ein Uhrwerk.

Überlebensmodus.
Und ja, ich will Leben.
Es geht los!

JB-11-2023

Unser Meer – Our Sea auf Spotify zu hören

Tanzt den Goldenen Reiter

„Trash Disse“ in Connewitz, eine Flasche Sekt geht rum unter den Leuten, die sich auf der Tanzfläche bewegen. Das nächste Lied fadet ein: eine Freundin, mit der ich die Diagnose teile, tanzt sich zu mir durch und meint, das ist unser Lied. Es läuft „Goldener Reiter“ von Joachim Witt. Ich nicke energisch und lache laut. Ja, das ist unser Lied wir umarmen uns und singen lautstark mit. „Hey, hey, hey, ich war der Goldene Reiter. Hey, hey, hey, ich bin ein Kind dieser Stadt. …“
In einem anderen Laden in Connewitz, nicht weit entfernt, aber erst gestern beim „Punk-Konzi“, eine befreundete Band spielt ihren einzigen Coversong. Es ist der „Goldener Reiter“. Ich nehme mir vor einen Text über dieses Lied zu schreiben. Nun sitze ich vor meinem Laptop mit einem Grinsen auf dem Gesicht und feuchten Augen.

Dieses Lied begleitet mich schon eine Weile auf den Tanzflächen der Stadt. Schon davor beim Studium, auch in der Kleinstadt, in der ich mein Abi machte, wurde es bei Diskos des Soziokulturelle Zentrums gespielt. Wann habe ich den Text bewusst wahrgenommen? 2007 habe ich meine erste Psychose durchlebt. Danach nahm ich Medikamente, die sich nicht gut vertragen haben mit Alkohol und habe nicht viel beziehungsweise nicht lange gefeiert. Vier Jahre ohne Alkohol und ich musste erstmal meinen Groove finden ohne dieses Mittel der Enthemmung.

Den Groove habe ich auf der Tanzfläche gefunden. Wie in Trance bewegte ich mich zum Rhythmus und zu den Melodien, die auf mich einwirkten. Meine Muskeln spannten sich rhythmisch an und entspannten sich wieder, genauso wie ich es mir wünschte. Dieses Spiel mit den Melodien belebt mich heute noch genauso und lässt mein Ego so klein werden, wie ein Sandkorn an einem langen, wunderschönen Strand. Wenn ich mich vergesse, bin ich eine von Vielen, nicht mehr und nicht weniger. Tanzen ist mein Rausch geworden.

Joachim Witts Lied „Der Goldene Reiter“ taucht immer wieder auf in diesem Kontext, in der Moritz Bastei bei Studi Partys, sangen Student*innen im ersten Semester dieses Lied mit. Dadurch brach für mich eine Mauer weg. „Lebensbedrohliche Schizophrenie“ verliert etwas vom Schrecken, wenn es durch so viele Kehlen freudig gesungen und betanzt wird.

Zwei Jahre nach meiner zweiten Psychose, bin ich in Kontakt mit der Fotografin Kirsten Becken. Sie möchte ein Artbook herausgeben. Sie möchte darin die Erlebnisse ihrer Mutter künstlerisch bearbeiten und aufarbeiten. 2017 erscheint „Seeing Her Ghosts“ und beinhaltet zahlreiche spannende englische und deutschsprachige Texte und Kunstwerke. Ein Gedicht von mir erscheint unter meinem Geburtsnamen. Ich blättere auf die Seite 57 und finde „Zunder“ abgedruckt neben Joachim Witts Liedtext zu „Goldener Reiter“.

JB-10-2023

Zunder

Ein Kleid genäht aus Zunder
Und wieder geh ich unter.
Schuhe gemacht aus Leid,
Langsam vergeht die Zeit.

Tanze zu Herzenstönen.
Will wieder dem Leben frönen.
Will wieder mit Lachen im Blick,
Weben an meinem Geschick.

JB-10-2016

http://kirstenbecken.de/seeing-her-ghosts/

Kunstfilm: Ihre Geister sehen von Kirsten Becken: https://www.youtube.com/watch?v=0pafjlo2Vqw

Das Zelt aus Himmel ist zerissen

Das Biest lauert in mir, kanns nicht abschütteln und nicht vernichten.
Es lässt mir keinen Raum zum wirklich Sein. 
Es lässt die tiefe Liebe nicht hinaus und nicht hinein.
Druck auf der Brust, versuch zu schlafen, doch es wühlt in mir.

Der Zweifel ist des Biestes Kind und wie ich davon frier.
Furcht verwoben in den Furchen meiner Stirn.
Die Brauen kennen Grauen nicht nur aus Erzählung.
Bin ich so stumm, dass alles in mir schreit nach Zähmung.

Und lass ich los den Klammergriff der reinen Vernunft, dann falle ich in dampfenden Dung.
Zerträumt die Nacht, ich wache und ich weine, das Zelt aus Himmel ist zerrissen. 
Es kleidet nun den Nachtmahr im Geheimen. Warum nur will ich ihn denn küssen?

Im Gefängnis das Leben beginnen. In sich selbst gefangen. 
Der Ausbruch wird vereitelt durch der Anderen Missgunst.
Was wenn wir gemeinsam die Mauern niederbrennen, die uns trennen?
Dem Unbekannten offen gegenüberstehen mit heidenhafter Inbrunst.

Johanna Blau, Oktober 2023

Steter Tropfen – Das Weinen des Wassers

Das Wasser in mir tanzt an die Oberfläche. Der Regen draußen will mein Herz mit sich schwemmen. Ich sitze regungslos da. Nur meine Finger drücken sich aus auf der Tastatur. Was gesagt werden will, erscheint auf dem Bildschirm, der mich blendet. Gefühle schwemmen gegen meine Stimmung; die Wellen brechen gegen den Strand. Ich werde wieder weinen. Schwarze Perlen, gewaschen in meinen Tränen, sind die Worte, die ich hervorbringe, aus den Tiefen meiner Suche vor dem unendlich hellen Nichts.

Wie kann ich leben in dieser Welt? Das ist die Frage. Gerecht und glücklich sein? Wie leben in einer Gesellschaft, die ungerecht handelt und Unglück fördert? Warum fragen alle: Warum geht es dir nicht gut?

Der Grund ist ein ausgetrockneter Brunnen, ein trockenes Flussbett, die Erinnerung an einen See, das schmelzende Eis der Pole und der Gletscher, der Starkregen, der fruchtbaren Boden hinwegwäscht, die Menschen, die ertrinken ohne Rettung. Die Dämme, die teilen, die Pumpen, der Ungerechtigkeit, das Wasser, was teuer verkauft oder vergiftet wird und bald vielleicht verdampft.

Werden die Tränen versiegen in den nächsten Tagen? Dann heißt es wieder: Alles Gut! Und ich meine: Es geht wieder, denn ich denke nicht mehr so viel nach. Aber ist das der Sinn dahinter, klarzukommen? Ist es sinnvoll zu ignorieren und sich mit sonst was abzulenken. Sollte ich nicht besser ins Handeln kommen und aufs Pferd steigen, um die obligatorischen Riesen zu jagen? Mit Hilfe eines treuen Begleiters. Wenigstens das?

Wer weiß, ich kann gerade nichts entscheiden und auch will ich nicht wieder überrollt werden. Gerade ist es an der Zeit in mir und um mich herum aufzuräumen. Die Gedanken und Gefühle im Wasserglas zu betrachten, zu sinnen und immer wieder und gegen alles anzutanzen; wie das Wasser, das stetig den Stein höhlt und Canyons entstehen lässt, deren Anblick mein Ego schmelzen lässt.

Johanna Blau, 27.07.2023

Sorgen hüten

Ich versuche, doch ich schaffe schwerlich.
Wer verdrängt, ist zu sich selten ehrlich.
Das Boot unter meinen Flügeln taumelt.
Ich kann fliegen, doch habe ich Angst vorm Ertrinken.

Das Letzte, was ich will, ist zu versinken;
In den Abyss, die Tiefen in mir zu erkunden.
Doch ich muss und werde;  raus der Herde.

Hinein in die Schäferinnenkluft,
Meine Sorgen werden in Schach gehalten von meinem Willen.
Er springt sie an, drängt sie in den Pferch.
Und ich kann wieder besser atmen.

Sie alle zu scheren, die Wolle zu färben,
Daraus etwas zu weben, Was ich mir umhängen kann,
das ist noch nicht dran.

Aber bald schon werde ich in leuchtenden Farben gekleidet,
wieder Herrin sein über meine Stimme
Und feierlich wandern über den begrünten Kamm.

Johanna Blau, Juli 2023

Zu Nah

Belanglos fließt die Zeit in tausend Muster.
Wer verlangt von mir, dass ich meinen Brustkorb öffne?
Gore und Liebe in Triebe geflossen, die für sich alleine gehen.
Kramt in der Mottenkiste, der Verflossenen, um sich selbst zu sehen.
Verlangen und Sehnsucht jagen sich.
Wir waren dabei, die Regeln zu schreiben, für ein Spiel, welches wir zusammen spielen wollten.
Doch wie immer kommt die Welt dazwischen, das Timing ist beschissen und der Spieß dreht sich um über dem Magma von Herzensangelegenheiten, mit Apfel im Mund dreh ich mich um mich selbst und lass mich braten.
Wilde Gärten rufen, die Saat ist bereitet, erholt sich vom Dauerregen, geht auf und wirft Saat ab, die in der Dürre wartet.

Johanna Blau 4*2023