Über Fantastische Ausbrüche

Das ewige Kleinmachen, hat mich wütend werden lassen, so wütend, dass der Käfig, in dem ich hocke, ganz ausgebeult existiert in meiner Fantasie. Bin ich die, die ich war oder der, der ewig an die Türe geklopft hat? Gibt es überhaupt eine Trennung zwischen Selbst, dir und anderen? In Zuständen wabert das Gegenüber als Geist durch mich hindurch. Unangenehm und frei wir zu sein. In meiner Vorstellung sind zwei Ganze zusammen etwas neues Ganzes. Etwas Verbundenes: frei und gestärkt.
Aus diesen Fantasien und Geschichten möchte ich ausbrechen, möchte mich neu und neugierig erfahren, auch andere. Spaltungen aufheben, wie eine Schnur, die auf den Boden geworfen wurde, wann und von wem auch immer.
Ich als Mensch bin ganz in meiner komplexen Charakterstruktur. Ich will gesehen werden, ich will Interesse erzeugen und in meiner Seele soll ein Licht entzündet werden, wie ich mit meinem Interesse Licht in anderen zünden möchte. Die Liebe als Licht in dieser Zeit des Nebels. Die Liebe als Klarheit in Zeiten der Fragen ohne wirklich wahrhaftige Antworten.
Das Kleinste hat Freundschaft mit dem Größten geschlossen, wenn meine Hände Luft umarmen, ist da Sonnenschein, Welle oder Teilchen; ist da Regen, magnetisches Wasser von der Schwerkraft, in meine Hände gelenkt.
In allen Alltagsbegegnungen steckt eine Magie, welche Ohnmacht in Frage stellt. Die Zeit in meinem Kopf sagt mir die richtige Stunde: zu Ruhen, zu Tanzen, zu Begegnen.
Das Handeln, ein Schweif aus Erfahrungen, Hoffnungen und Ängsten, thronend über der wagen Zukunft, wurzelnd in subjektiv erinnerter Vergangenheit.

Worauf ich hinaus will? Jede Zeit ist die richtige oder falsche, einen Sprung ins Ungewisse zu wagen. Die Frage ist: Bin ich bereit? Ist das Leben nicht so falsch oder richtig, wie unsere Vorstellung davon? Ist der andere Mensch mit seinen Wünschen, seiner Last, seiner Freude, seinem Leid und seinem Hoffen in uns ein Spiegel? Woraus besteht das Spiegelbild, außer aus schwerem Blei?
Mein Selbst ist die Summe von vielen Spiegeln, mein Ich ist eine Erinnerung an einen Traum, doch ich erfinde mich neu, wenn ich erwache. Jeder Tag ist ein Versuch meiner Stimme, hörbar zu werden für mich und für andere.
Die Stangen des Käfigs, in dem ich mich regelmäßig wiederfinde, sind immer auch die Ängste des letzten Tages, der letzten Begegnung mit anderen und mit mir selbst. Ruhe finde ich da, sammeln kann ich mich da. Meine Träume entwickeln sich da. Aber dann muss ich aufstehen, während der Käfig als Illusion sich entlarvt, auch wenn es kurz schmerzt in den Knochen, den Faszien, den Muskeln darin, dann weil ich ungewohnt aufgerichtet atme. Mein Körper ein Wachstumsschmerz und ich fange an, daraus ein Lied zu dichten.
Mein Mund öffnet sich, die Töne, entlockt der feinen Umarmung mit meinem Leben, entstehen. Der Blasebalg pumpt Luft in meinen kräftigen Lungen, mein Leben atmet mich immer wieder ein und aus. Der Klang meiner Erfahrung ist das Klangexperiment, was ihr hört, lest. Es beginnt …
Frieden allem Leben. Frieden aller Existenz. Wut in meinem Bauch, auf die welche, das Leben schänden. Wut in meinem Herzen, auf die, welche die Liebe für ihre Zwecke nutzen. Wut in meinem Kopf, auf die welche die Lüge zelebrieren und die Wahrheit nackt verhöhnen.
Werte nicht Wärter sollen regieren. Sorgen in den Händen der falschen Menschen, vermehren sich wie der magische Brei im Märchen. Darum sollte Hoffnung die Währung unseres Miteinanders sein. Hoffnung sollte der Kompass sein für unsere gemeinsamen Entscheidungen.
Ich bin mit meinem Herzen, mit meinem Willen und mit meinem Verstand verwoben. Ich bin verwoben mit der Welt, der Gesellschaft, mit euch. All diese Verbindungen schmerzen und lassen mich gleichzeitig frohlocken. In meinem Organismus ist Nichts allein. In mir kommt Nichts nicht von außen. Wie soll ich mich schützen, vor dem was kommt? Ich schreibe dagegen an. Das ist meine Antwort auf eure Fragen. Und wenn ich stürze, fällt ein Baum der Erkenntnis wieder in Ungnade, und wenn ich stürze, ist die tiefe Nacht fast vorbei. Was folgt, überlasse ich eurer Fantasie.

Johanna nion Blau, 12.10.2025

Gemeinschaften – Von den Grenzen der Vorstellungskraft

Die Grenzen des Verstandes brechen auf. Der Verstand, gefüttert von Erfahrung, Kenntnissen und Erlebnissen sträubt sich dagegen. Dann doch der Moment, wo Gefühl und Geist in Einklang mit der Seele existieren. Der Moment, in dem ich mich wohl und sicher fühle. Der Moment, in dem ich planen, lieben und erschaffen kann. Aber ist dies möglich in einer Welt, in der keine Pause vorgesehen ist, keine Kontemplation möglich scheint? Menschen schlafen, stehen auf, arbeiten, essen, arbeiten, üben ihr Hobby aus oder gehen zum After-Work-Event und dann schlafen sie wieder. Das alles ist weitaus komplexer. Menschen haben Familie. Menschen werden krank. Menschen gehen keiner Lohnarbeit nach und leiden vielleicht darunter oder auch nicht.

Mir geht es darum: Wir rennen heute der Zeit hinterher und diese ist dadurch nur noch knapper bemessen, wie es scheint. Es kommt mir so vor, als wären die Zeitdiebe aus Michael Ende’s Buch „Momo“ am Werk. Viele Menschen finden nicht die Muße über ihr Leben, über ihre Träume nachzudenken und darüber, wie sie sich selbst verwirklichen könnten. Sie funktionieren, bis sie es nicht mehr tun. Sie gehen über ihre körperlichen und mentalen Grenzen, um einem Beruf nachzugehen, der nicht ihre Berufung ist. Welche Auswirkungen hat also die Gesellschaftsform, in der wir leben auf uns als Menschen? In diesem Text frage ich mich ehrlich, herzlich und achtsam: Wie verlief mein Arbeitsleben bisher und welche Auswirkungen hat das auf mein Leben? Ich sinne darüber nach, wie eine andere Gesellschaftsform geschaffen sein könnte.

In der Zeit, als ich Abitur machte, traf sich unsere Clique am Rande einer Kleinstadt auf einem von Bäumen umstandenen Spielplatz. Die anderen kifften und tranken, ich beschränkte mich meistens auf Alkohol, um gesellig zu werden. In einem Gespräch mit einem meiner Freunde, ging es an einem Abend um Nationalstaaten. Er fragte mich, warum es sie gibt und wie sie entstanden seien. Ich wusste darauf keine Antwort. Außer die, dass es nun mal so sei. Als ich mich auf sein Gedankenspiel der Welt ohne Grenzen einließ, öffnete sich in meinem Kopf und in meinem Herzen jeweils ein neuer Raum: Die Weltordnung ist menschengemacht, wurde mir zum ersten Mal wirklich bewusst.

Als ich mit 24 Jahren meine Diplomarbeit schrieb, zog es mir noch einmal gedanklich die Füße weg. Riane Eislers Buch: „Kelch und Schwert“ las ich in der Zeit. Ihr Fazit lautete: Krieg ist nicht die natürliche Ordnung der menschlichen Gesellschaft. Es gab wohl eine Zeit vor etwa 5000 Jahren, in denen es lange Phasen des Wohlstandes und des Friedens gegeben habe für alle Menschen, nicht nur für die herrschende Klasse. In der Schule im Geschichtsunterricht lernten wir so viel über Kriege, wer sie wann geführt hatte und weswegen und vor allem erfuhren wir viel über die Sieger. Die Phasen zwischen den Kriegen, die Zeiten des Friedens schienen uninteressant. Mein Herz schrie nach dieser Erkenntnis: Leid ist menschengemacht.

Die Welt könnte anders gestaltet sein. Menschen könnten in Frieden miteinander leben. Wir sollten Natur und unsere Umwelt nicht ausbeuten, bis hin zur Zerstörung. Mit diesen Überzeugungen gehe ich heute durch die Stadt, in der ich lebe. Mit dieser Haltung schaue ich mir die Nachrichten an, mit diesen Gefühlen gehe ich arbeiten, werde ich krank und mache weiter, so gut es geht. Die Gesellschaft, in der die meisten Menschen auf diesem Planeten leben: Kapitalismus, Patriarchat, Demokratien, diese Systeme sind nicht selbstverständlich. Wir als Gesellschaft könnten sie an veränderte Umstände anpassen. Auch wenn es schwierig ist und es von den kurzfristigen GewinnerInnen des Systems zusätzlich erschwert wird: Die Systeme, die Menschen geschaffen haben, können Menschen auch wieder ändern, oder? Aber was, wenn wir uns nicht in der Lage dazu fühlen, wenn wir so vereinzelt „gehalten“ werden und so durch Lohnarbeit beschäftigt werden, dass ein einzelner Mensch nicht das Gefühl hat, etwas ausrichten zu können.

Ursula K. Le Guin sagte 2014 bei den National Book Awards in New York: “(…) We live in capitalism. Its power seems inescapable. So did the divine rights of kings. Any human power can be resisted and changed by human beings. Resistance and change often begin in art, and very often in our art, the art of words.”Wir leben im Kapitalismus. Seine Macht scheint unausweichlich. Genauso wie das königliche Recht durch Gottes Gnaden. Jeder menschlichen Macht kann widerstanden werden und sie kann durch Menschen verändert werden. Widerstand und Veränderung fangen oft in der Kunst an, und sehr oft in unserer Kunstform, der Kunst der Worte (Übersetzt von Verfasser*in). Wenn ich ihre Worte lese, bin ich beseelt. In meinem Kopf beruhigen sich die schwer flirrenden Gedanken und mein Herz hört fürs Erste auf zu schreien. Ein Mensch, der schreibt, kann etwas ändern. Sodann ans Werk.

Ich finde mich in einer Zelle wieder, auf der einen Seite in einer Ecke eine Blechtoilette, in der anderen Ecke gegenüber hängt eine Videokamera, die filmt, was ich tue. Die Mitte des Raumes dominiert ein Bett. Oft in den zwei oder drei Tagen in diesem Raum klopfe ich an die Tür, schreie, um mir Gehör zu verschaffen. Es reagiert niemand. Erst wenn ich eine Weile ruhig bin, öffnet sich die Tür. Ich bekomme etwas zu essen.

Der beschriebene Raum befindet sich in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrischen Einrichtung. Ich wurde zwangseingewiesen. Gerechtfertigt? Die Psychose, die ich erlebe, manifestiert sich seit Monaten. Ich höre Stimmen, bin überzeugt davon, dass ich telepathische Kräfte besitze, kann nicht schlafen und auch nicht aufhören zu denken. Das Wahngerüst, welches in meinem Kopf herangewachsen ist, wird in diesem Raum zur gedanklichen Festung. Die Stimmen in meinem Kopf übernehmen die Führung. Ich werde die Inhalte des Wahnsinns, der mich in diesem Raum zuerst besucht hat, wohl mein Leben lang mit mir tragen. Warum war ich da? Es wurde falsch ausgesagt über mich, was die Polizei dazu bewogen hat, mich einweisen zu lassen. Aber selbst, wenn ich getan hätte, was mir vorgeworfen worden war, niemand sollte allein in einen Raum gesperrt werden, allein mit vollgeschriebenen Wänden und der eigenen verwirrten Psyche. Gerade in diesem vulnerablen Zustand sollte ich versorgt und nicht weggesperrt werden.

Es ist passiert. Ich habe diese Grenzüberschreitung und die daraus für mich folgenden Verletzungen überlebt. Ging es darum, mich zu heilen? Das frage ich mich immer noch. Oder ist es nicht eher ein auf Linie bringen, was da passiert? Menschen, die die gesellschaftlichen manchmal nicht einmal niedergeschriebenen Regeln verletzen, werden weggesperrt, bis sie wieder funktionieren? Meinen psychotischen Zustand habe ich einmal so beschrieben: “Ich überspringe die Zäune der gesellschaftlichen Grenzen, wenn sie für mich nicht nachvollziehbar sind.“ Das macht mich für andere unberechenbar und leider auch werde ich dadurch oftmals als gefährlich eingestuft.

Diese Tatsachen bringen mich seit zehn Jahren dazu, durchgängig Psychopharmaka zu nehmen, die Nebenwirkungen haben und meine Organe belasten. Die Lebenserwartung von psychisch kranken Menschen in Behandlung ist rund zehn Jahre geringer als die von Menschen ohne Psychiatrieerfahrung, so habe ich gelesen. Trotzdem nehme ich die Tabletten, um mich selbst zu schützen vor gesellschaftlicher Ächtung, aus Angst vor dem Verlust von Freund*innenschaften und weil ich die Kontrolle über meine Gedanken und meine Gefühle nicht noch einmal in diesem Maße verlieren möchte. Ich kann mir nicht vorstellen in dieser Gesellschaft ohne Psychopharmaka klarzukommen. Der oben beschriebene Absetzversuch ist fehlgeschlagen, trotz langsamen Ausschleichens. Trotzdem kann ich Menschen verstehen, die das Ausschleichen versuchen, der Gefühle wegen, die dann wieder spürbarer werden, ihres Körpergewichts wegen, oder auch wegen kreativer Gedanken, welche dann wiederaufkommen können oder aufgrund anderer Gründe. Ich habe mich für die Medikamente entschieden, obwohl ich in einem linken Stadtteil wohne, wo die Menschen aufgeschlossener sein sollten gegenüber Menschen in psychischen Krisen. Hier werden seit Jahren aber die Lücken zwischen den Gebäuden und die Freiräume in den Köpfen der Einwohner*innen beeinträchtigt, durch Gentrifizierung und durch Spaltungsprozesse innerhalb der Szene.

Eine Frage kommt mir in den Sinn: Ist das Gegenteil von Grenzen, die Freiheit? Freiheit, ein Begriff, der bei der letzten Wahl in Deutschland in so vielen Wahlprogrammen so oft aufgetaucht ist und dessen Bedeutung dadurch so stark ausgehöhlt wurde, dass nur noch leere Versprechen übriggeblieben zu sein scheinen, wenn nicht sogar die Verkehrung der eigentlichen Definition. Für wen ist diese eine Freiheit vorgesehen? Ist es die Freiheit der Lobbyisten für Konzerne Politik zu machen, statt für Bürger*innen, Arbeiter*innen und Menschen mit Behinderung? Vielleicht sollten wir aufhorchen, wenn „die Freiheit“ als hehres Ziel genannt wird und nicht die Freiheiten. Die Freiheiten, die für viele verschiedene Menschen mit verschieden Erlebnissen und Erfahrungen individuellste Bedeutungen haben. Die Freiheit zu reisen, ist zum Beispiel für viele in Deutschland lebende Menschen nicht selbstverständlich. Dabei ist es für Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit immer noch so leicht wie für wenige andere, in anderen Ländern Urlaub zu machen ohne Visum. Diese Freiheit war doch auch ein entscheidendes Kriterium für viele Staatsbürger*innen der ehemaligen DDR auszureisen und hat diese Diktatur 1989 mit geholfen zu Fall zu bringen und die innerdeutschen Grenzen zu öffnen.

Sieben Jahre war ich damals alt, habe erfahren welche LehrerInnen bei der Staatsicherheit waren, habe erfahren, dass die Lehrerin, die mir das blaue Pionierhalstuch überreichte, nicht mehr Schulgarten unterrichten wird. In unserem Dorfladen fand ich nach der Wiedervereinigung keine Schokolade mehr, da ich nur die Schlagersüßtafel kannte. Ich habe als Kind erlebt, wie eine staatliche Ordnung innerhalb von wenigen Wochen in sich zusammenfällt und ohne viele Umschweife etwas anderes den leeren Räum, das Machtvakuum, welches entstanden ist, auffüllt. Wie, wenn Pflanzen über Osmose Nährstoffe aufnehmen. Viele Menschen, die älter waren als ich, sich in Ausbildung befanden, einer Arbeit nachgingen, eine Familie hatten, die im gewohnten System fest im Leben standen, haben diese krassen Veränderungen erschüttert bis ins Mark. Das soll keine Entschuldigung sein für die politischen Entwicklungen im Osten von Deutschland. Es ist die Ambiguität der Tatsachen. Die Menschen haben die offenen Grenzen gefeiert, aber die fehlenden Entscheidungsmöglichkeiten, das fehlende Mitspracherecht auf persönlicher, wie gesellschaftlicher Ebene als ein einschneidende Enttäuschung und Grenzverletzung abgespeichert. Viele ehemalige DDR-Bürger*innen erinnern sich an diese Zeit, wie an eine Niederlage und an einen Verlust von Werten, die über die DDR-Regierung hinaus, bewahrenswert gewesen wären.

Als Kind habe ich einen festen Zusammenhalt unter den Menschen in meinem Dorf erlebt. Ich weiß nicht, ob das gelebter Sozialismus, aus Not geborenen Solidarität oder kindliche Verklärung von Erinnerungen waren. Die Erntezeit war für mich eine magische Zeit, es gab Gemüse wie Schoten und Möhren aus dem eigenen Garten und die Strohballen von den Feldern wurden von den Dorfleuten in die Scheune auf unserem Hof verfrachtet. Ich habe dieses Gefühl des Zusammenhalts und diese Freundlichkeit untereinander für mich immer bewahren wollen. Und sooft mir das ein Nachteil war, im „System der Ellenbogen“, so oft sagte ich mir: „Ich werde nicht selbst egoistisch und ignorant, weil sich andere mir gegenüber so verhalten.“

Meine aktuelle Lage: Ich bin krankgeschrieben, mein Antrag auf berufliche Rehabilitation wurde abgelehnt, der Rentenantrag ist seit vier Monaten in Bearbeitung. Ich bin in einen Zustand des Wartens. Das Gute daran ist, dass ich Zeit habe für mich. Das lässt mich langsam gesunden. Ich werde verhaltenstherapeutisch unterstützt und nutze Ergotherapie. Die Zeit, die ich für meine Aktivitäten und Termine habe, reicht aus, alles in Ruhe zu machen. Der Stress in meinem Leben reduziert sich auf ein nie gekanntes Minimum und meine sonst so häufigen Infekte gehören der Vergangenheit an. Ich merke, wie gut mir diese Zeit tut. Der Faktor Zeit, welcher purer Luxus ist, in der gegenwärtigen westlichen Kultur. Dessen bin ich mir sehr bewusst. Doch das schlechte Gewissen, nichts Nützliches oder „Sinnvolles“ zu tun, wird immer leiser und leiser. Ich tue etwas Sinnvolles für mich, ich heile und bin immer zufriedener auch mit mir.

Die äußeren Zwänge fallen so gut wie weg. Dadurch merke ich, dass ich für die „normale“ Arbeitswelt nicht gemacht bin. Im bestehenden „Turbokapitalismus“, wird von allen alles verlangt, inklusive Erreichbarkeit rund um die Uhr. Das kann ich nicht mehr leisten. Die Krankheit war bisher mein Stopp-Zeichen. „So geht es nicht weiter!“, sagte sie eindringlich zu mir, mit Symptomen, die mich einschränkten, in dem, was ich tat. Ich bin im beruflichen Kontext schon häufig aussortiert worden. Meine persönliche Grenze, was ich mit mir machen lasse im Berufsleben, liegt da, wo ich gemobbt werde, da wo ich keine Unterstützung mehr erfahre, sondern, mir das eigentliche Arbeiten erschwert wird. Und das ist mir passiert. Ich wurde ausgenutzt im Billiglohnsektor und in Kontexten ehrenamtlicher Arbeit. Ich wurde unten gehalten von sogenannten Visionären und Pionieren.

Es ist eine Sache, sich persönlich zu entwickeln im Kapitalismus, eine andere, im Patriarchat beruflich als weiblich wahrgenommene Person die passende Nische zu suchen. Mein Vorhaben war es, eine Umschulung anzufangen. Dies wurde von der Rentenversicherung abgelehnt mit der Begründung: „…, weil keine Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit besteht und Ihr Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erhalten und auch ein anderer Arbeitsplatz nicht erlangt werden kann.“  Diese Aussage hat mich in der Depression tief getroffen. Diese Aussage war wie ein Urteil über mich als Mensch, nicht nur über mein Arbeitsleben; und das nach Aktenlage. Die Begleitumstände wurden meiner Meinung nach nicht berücksichtigt. Der Mensch hinter der Diagnose wird nicht gesehen vom Menschen am Schreibtisch.

Wenn es um Effizienz gehen würde oder um Wirtschaftlichkeit, warum werden dann so viele schon erkrankte Menschen im Billiglohnsektor „verheizt“? Auch heute während einer langsam abklingenden Depression, bin ich überzeugt davon, dass ich eine Arbeit gut ausführen kann, wenn die Faktoren für mich optimal sind. Und das will ich tun: Arbeiten, meinen Beitrag leisten. Auch wenn ich den vorherrschenden Kapazitismus („Es zählt nur die Leistung, die du erbringst, nicht du selbst.“) in diesem Land kritisiere, ich ziehe Selbstwert aus Arbeit. Vor allem in einem gut eingespielten Team und mit Aufgaben versorgt, die mich herausfordern, fühle ich mich wie ein Otter im Wasser. Das möchte ich nicht missen.

Die optimalen Bedingungen herrschten bisher in meinem Freiwilligen Ökologischen Jahr, welches ich nach meinem Studium absolviert habe. Ich wollte vorsichtig ins Arbeitsleben starten, nachdem ich meine erste psychische Krise beim Schreiben der Diplomarbeit erlebte. Das Team auf Arbeit war wertschätzend, hat zusammengehalten, die Chefin hat mich gut betreut, so dass ich auch für mich schwierige Aufgaben gemeistert habe. Mir wurde geholfen, mich auszutesten und meine Hürden zu überwinden. Die Grenzen, die ich mir selbst gesetzt habe, konnte ich gut verschieben in dieser Zeit, die auf diese krasse erste persönliche Krise folgte.

Nach dem Freiwilligen Ökologischen Jahr startete ich in den ersten Arbeitsmarkt und das hoch motiviert. Auch über die Entlohnung meiner Stelle freute ich mich. Ich hatte noch nie so ein hohes Einkommen erzielt. Meine erste Lohnarbeit leistete ich als Support-Mitarbeitende mit 40 Wochenstunden Arbeitszeit plus Bereitschaftsdienste. Das schaffte ich zwei Jahre lang gut, dann begannen Mobbing und die bestehenden Bedingungen an mir zu zehren. Ich bekam ein Burn-out, also eine Erschöpfungsdepression, diagnostiziert. Die Psychose, welche sich entwickelte, daraufhin, durch Einsamkeit und einen Absetzversuch meiner Medikament verursacht, brachte mich auf die geschlossene Station. Nach der akuten Krise hatte ich jahrelang mit Depressionen zu kämpfen und als ich mich wieder aufgerappelt hatte, war es sehr schwierig eine Arbeit zu finden.

Ich hatte einige Vorstellungsgespräche nach der zweiten akuten Krise, mit meiner chronischen Erkrankung und Behinderung ging ich offen um. Bei einem Gespräch schrie mich der Chef der IT-Firma regelrecht an, ich sollte doch meinen Schwerbehinderten-Ausweis loswerden, da ich sonst in dieser Branche nie Arbeit fände. Und es stimmt, die Firmen bezahlen in der Regel eher die Ausgleichszahlungen, als Menschen mit Behinderung einzustellen.  In dieser Form und anderen wurde ich daran gehindert am Arbeitsleben teilzuhaben. Obwohl Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung in Deutschland ein gesetzlich geregeltes Recht ist.

Aber eben nicht nur in der Privatwirtschaft ist die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt ein Problem. Auch nach der medizinischen Reha, wo mir der Oberarzt die Möglichkeit einer berufliche Reha in Aussicht gestellt hatte, bin ich regelrecht zusammengebrochen, als durch die Rentenversicherung dieser Antrag abgelehnt wurde. Das weitere Prozedere für mich, wäre ein Widerspruch gewesen. Da mir das Schreiben nicht schwerfällt, hatte ich auch einen Widerspruch parat. Die Hürde hier war für mich die monatelange Unsicherheit, ob der Widerspruch durchgehen würde und ob ich am Ende die gewünschte Umschulung bekommen würde oder doch eine Weiterbildung. Natürlich gibt es wichtige Vereine, wie den Sozialverband VdK Deutschland e.V., der Menschen bei solchen Anträgen unterstützt und auch klagen kann in ihrem Namen, falls der Widerspruch abgelehnt wird. Aber zu diesem Zeitpunkt bin ich noch nicht Mitglied gewesen und habe nicht das nötige Geld gehabt, eins zu werden.

Die Ebenen hier: die persönliche Ebene, mit Hürden, die ich überwinden möchte, was sich aber aufgrund meiner Biografie, meiner Erfahrungen und meiner Einschränkungen nicht einfach gestaltet. Die zwischenmenschliche Ebene, mit ihren Hürden im Berufsleben, Chefs, welche wollen, dass etwas funktioniert, egal wie und die nicht viel von Förderung der Mitarbeitenden halten, wenn sie während der Arbeitszeit passieren soll. Wenn jemand geht, gibt es reichlich Nachschub im Bereich „Human Ressources.“ Die gesellschaftliche Ebene mit ihren Vorurteilen gegenüber Menschen mit Behinderungen, die Menschen behindern, an der Gesellschaft ihren Wünschen und Stärken entsprechend teilzunehmen. Die Gesellschaftsform Kapitalismus in der alle zu funktionieren haben, egal wie. Bis sie „ausgebrannt “ sind oder abgestumpft sich selbst und anderen gegenüber. Das Patriarchat, welches weiblich wahrgenommenen Menschen, an die „Gläserne Decke“ stoßen lässt, oder über die „Gläserne Klippe“ stößt.

Es könnte doch so anders sein. Weg von der Normativität, der Norm, weg von der gepriesenen Normalität, an die sich alle anzupassen haben. In einer Reportage des BR: „Neurodiversität – Wie normal ist anders“, hat der Journalist Manuel Stark Menschen mit Neurodivergenzen interviewt und sich dabei erfrischend anders eingebracht. Diesen Beitrag habe ich sehr positiv aufgenommen, weil es eben nicht nur um Einschränkungen gehen sollte, sondern um Stärken von Menschen mit ADHS, Autismus oder Legasthenie. Es ging vor allem um die Personen. Niemand hat gesagt, dass er*sie jetzt alle im Spektrum repräsentiert. Sondern es handelte sich um Portraits von Menschen, die unter anderem neurodivergent sind. Diese Art der Individualität ist meiner Meinung nach sehr unterstützenswert. Jede Person hat Schwächen, Stärken, Besonderheiten. Auch für Unternehmen wäre es von großem Vorteil, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind und ihr Denken, Fühlen, Handeln zu respektieren. Wir alle haben unzählige, persönliche Potenziale, die gefördert werden wollen.

Vor allem auf der zwischenmenschlichen Ebene bin ich für verbindendes Miteinander, für Offenheit und das Hinterfragen der eigenen Vorurteile. Natürlich sind Schubladen da, in die Menschen zuerst gesteckt werden. Die Kunst ist aber, sich dessen bewusst zu sein und Denkmuster gezielt zu hinterfragen. Die eigene Begrenztheit ist ein Luxus, den wir uns schon lange nicht mehr leisten können. Zu viele schöpfen Wert aus Vorurteilen, Hass und Ängsten. Was hat uns in der Vergangenheit als Menschheit vorangebracht?

Es waren Personen, die offen miteinander kooperierten, auch zusammen Projekte ins Leben riefen. Es waren Personen, die in Gruppen gemeinsame Erfahrungen machten. Dieses Verhalten wird uns durch die Zeit der politischen Umbrüche und Tabubrüche bringen. Dies macht uns auch zukunftsfähig, davon bin ich überzeugt. Und nicht nur ich. Darüber schreibe ich in meinen Texten, meinen Gedichten, davon spreche ich mit meinen Lieben und Menschen, die ich noch nicht kenne.

Mir ist es wichtig, nicht nur „gegen Etwas zu sein“, nicht nur Grenzen zu setzen, gegen das, was ich nicht will, was ich als unmoralisch, verwerflich und lebensfeindlich einstufe. Mir ist es wichtig, mich für meine Überzeugungen einzusetzen. Meine inneren Grenzen möchte ich überwinden, offen auf Personen zuzugehen, in Gesprächen auch zuzuhören und nicht nur meine Meinung verlauten lassen. Darüber hinaus möchte ich in meinen Texten zum Nachdenken anregen.

Utopien sind für uns überlebenswichtig. Das wonach wir streben, haben wir vielleicht noch nie erfahren: Eine Gesellschaft, in der Menschen tauschen, was sie brauchen oder nach Sinn der Commons. Gemeingüter, die gemeinsam angeschafft werden. Das, was alle selten brauchen, wird geteilt und auch die Wartung solcher Geräte übernimmt die Gemeinschaft. Von Bohrmaschinen über Rasenmäher zu Zeitungsabos und Generationenhäusern die Vielfalt der Commons ist nur durch die Vorstellungskraft der Gemeinschaften begrenzt, die sie nutzen. Elinor Ostrom und Silke Helfrich sind zwei Namen, die für mich mit der Wissenschaft rund um die Commons fest verknüpft sind.

Viele Ideen in diese Richtung werden schon lange in realen Gemeinschaften umgesetzt. Wir kennen die Lösungen für viele unserer heutigen Probleme und wenden sie auch so gut es geht an. Doch werden wir heute schlecht oder gar nicht auf der politischen Ebene unterstützt. Vereine, die wichtig sind, wie der Mosaik e.V. in Leipzig, der sich um die psychosoziale Versorgung von geflüchteten Menschen kümmert, müssen um ihre Existenz bangen, weil Förderungen durch die Stadt und das Land Sachsen auf der Kippe stehen. In Sachsen ist die Finanzierung vieler Vereine gerade nicht gesichert.  Gegen Menschen, welche sich in Vereinen engagieren, wird von oberster politischer Seite her gehetzt. Es wird untersucht, ob Gelder „gerechtfertigt“ seien. Die Hürden, die engagierten Menschen in den Weg gebaut werden, reichen immer höher. Es braucht viel Energie sich dem entgegenzusetzen, zum Beispiel indem alternative Förderungen gesucht und beantragt werden oder freiwillige Helfende zu betreuen, kurz: die Vereine am Leben zu erhalten. Das kostet Zeit und Energie.

Wir befinden uns, wie Robin Wall Kimmerer in ihrem wunderbaren Buch „Geflochtenes Süßgras – Die Weisheit der Pflanzen“ schreibt, gesellschaftlich an einem Scheideweg. Entweder gehen wir den Weg der Ressourcenausbeutung und Ausbeutung unserer eigene Spezies weiter, was zur Auslöschung des Lebens auf diesem Planeten führen kann, oder wir entscheiden uns für eine Wende hin zum „grünen Weg“. Dieses Bild der Weggabelung: Auf der einen Seite alles, was Menschen angerichtet haben und anrichten auf der Welt: Kriege, Verwüstungen, Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten. Auf der anderen Seite, eine üppige begrünte Stadt, in der Gemeinschaften sich, soweit es möglich ist, selbst versorgen, miteinander handeln und für die bestehenden Probleme gemeinsam Lösungen erarbeiten.

Diese Vorstellung ist es auch, die mich schreiben lässt. Diese Utopie ist es, die mich antreibt. Es existieren Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Wir können es angehen für alle ein besseres, anderes, vielleicht noch unvorstellbar schönes Leben zu ermöglichen. Die Begrenzung in unseren Köpfen dahingehend, lassen sich gut durch Literatur, durch Gespräche und durch Träumereien aufbrechen. Meine Hoffnung besteht darin, dass genügend Menschen in diesem Land, die Zeit finden, die Grenzen der persönlichen Entwicklung, die äußeren Hindernisse und die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft zu überwinden.

In Heinrich Bölls „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ steckt eine Lösung, die ich versuche für mich umzusetzen. Ich möchte nicht der Altersrente hinterherschuften oder einem unerreichbar weit entfernten Ziel: viel Geld, viel Freizeit, etc. Mein Ziel ist es, jeden Tag achtsam und bewusst zu erleben. Ich strebe an, jeden Tag etwas zu tun, was mir guttut, und jeden Tag etwas, was anderen in irgendeiner Form helfen könnte. Mein Ziel ist es, bewusst das Hier und Jetzt zu erleben.

Ich genieße gerade den Luxus an meinem Schreibtisch zu sitzen, an meinem Sonnenfenster und die Zeit zu haben, zu schreiben, zu erschaffen. Das wünsche ich mir für alle, die auch diesen Drang kennen, zu schreiben. Das wünsche ich mir für alle, die künstlerisch tätig sein wollen. Mögen sie die Möglichkeit haben, sich auszudrücken, sich selbst zu verwirklichen. Unser aller Zufriedenheit würde dazu beitragen, die Grenzen der bestehenden Ordnung sprengen. Und dies wäre für den gesamten Planeten, mit allen Pflanzen, Tieren und Menschen darauf eine Wohltat.

Quellenangabe:

  • Michael Ende: Momo, oder, die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte. Ein Märchen-Roman. München: DTV, 1988.
  • Riane Eisler: Kelch und Schwert. Von der Herrschaft zur Partnerschaft. Weibliches und männliches Prinzip in der Geschichte. München: Goldmann Verlag, 1993.
  • Robin Wall Kimmerer: Geflochtenes Süßgras. Die Weisheit der Pflanzen. Aufbau Verlag, 9. Auflage, 2024.
  • Heinrich Böll: „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“. Aus Heinrich Böll, Werke, Band: Romane und Erzählungen 4, 1961-1970, S. 267-269. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln. (der Text ist im Internet zu lesen)
  • Silke Helfrich, David Bollier und Heinrich Böll Stiftung (Hg.): Die Welt der Commons. Muster Gemeinsamen Handelns. transcript Verlag, Bielefeld, 2015.

„Nie wieder“ ist jetzt

Ein Auto fährt unter meinem Fenster vorbei, daraus ertönt: „Fuck you I won‘t do what you tell me!“ Der Song heißt „Killing in the Name“, die Band, die ihn in den 1990ern geschrieben hat und damit aufgetreten ist, heißt: Rage Against The Machine. Gerade befinde ich mich in einem Zustand, der schwer zu fassen ist; kurz vor der Resignation, kämpferisch auf meine Art noch und mit weitestgehend klarem Verstand, versuche ich die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, die auf unsere Gesellschaft und Umwelt gerade einwirken. Ich schaue mir Dokumentationen an, scrolle durch Instagram und lerne investigative bürgerjournalistische Kooperativen wie Bellingcat kennen. Dann sehe ich erschütternde Videos von Menschen in den USA, die um die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land bitten und Leute weltweit darauf aufmerksam machen, was in den USA gerade abläuft. Eine heldenhafte Person stellt sich der ICE entgegen mit ihrem Smartphone und hat Erfolg. Andere weinen in ihren Autos und machen auf katastrophale Entscheidungen der US-Regierung aufmerksam, die sie meist selbst in großen Ausmaßen betreffen. Mich bewegt die Unmittelbarkeit dieser Nachrichten von betroffenen Menschen, die zeigen, wie einer der mächtigsten Staaten der Welt vor den Augen der Welt in eine faschistische Gesellschaftsordnung umgewandelt wird. Und alle schauen zu?

Gestern bei einem Konzert in Connewitz, waren nur wenige Leute im Publikum. Doch die Band „War/Plague“ hat mich trotzdem oder gerade deswegen mitgerissen. Die Angst und Wut, die Sorgen und Hoffnungen, welche ich hege wegen aktueller politscher Entwicklungen weltweit, das alles kam hoch, da die Band es mit ihren Songs geschafft hat, das alles in mir zu aktivieren nach und nach. Es war eine kathartische Reise innerhalb einer halben Stunde. Ich musste an die USA denken. Die Band selbst kommt aus Minneapolis. Wie lange haben Menschen wie sie davor gewarnt, was jetzt wahr geworden ist und noch wahr werden könnte?

Schon lange nagte der Kapitalismus in der patriarchalen Ordnung, in der wir alle organisiert sind, an den Menschenrechten, an der Gewaltenteilung des Staates und am Schutz unserer natürlichen Ressourcen und schon lange wurde von einigen wenigen reichen und mächtigen Menschen versucht, die Menschheit zu spalten und die Deutungshoheit über die Wahrheit zu erlangen. Ich sage von mir nicht, dass ich das alles durchschaue oder alle Antworten habe. Ich schreibe aus dem Impuls heraus, meine Gedanken zu sortieren und für mich klar zu bekommen, was hier gerade passiert. Und ich komme zu dem Schluss, wie viele andere antifaschistisch denkende Menschen: „Nie wieder“ ist jetzt!.

Das, was weltweit in verschiedenen Ausprägungen und Ausmaßen gerade geschieht, ist ein gewaltiger Wendepunkt.  Wir Menschen, welche jetzt leben, haben meiner Meinung nach die Verantwortung, sich dem versuchten Umsturz von Demokratien, der Verbreitung von Desinformationen und den offenen Drohungen gegen freiheitliche Gesellschaften entgegenzustellen. Was uns sonst droht, das steht vielleicht schon in Büchern wie 1984 von George Orwell, Huxley‘s „Schöner Neuer Welt“ oder in Margaret Atwood’s „Der Report der Magd“. Die Dystopien drohen Wirklichkeit zu werden, gerade weil darin Sachverhalte beschrieben werden, die irgendwo und früher schon einmal passiert sind. Orwell sagte einmal, sein Buch war nicht als Anleitung gedacht und ich geh mit Prof. Dr. Maja Göpel mit, die bei der Re:publica‘25 in ihrer tollen Keynote Rede unter anderem sagte, es braucht eine Aufmerksamkeitsökonomie hin zu dem, was zukunftsfähig und friedfertig ist. https://www.youtube.com/watch?v=f24LHpFbga8 Her mit dem schönen Leben ist keine leere Phrase für mich. Aber wir müssen auch Zeug*innen sein, von dem, was gerade passiert und auch immer bereit uns auf die Seite der Menschen zu stellen, die marginalisiert werden, die verfolgt, verletzt, getötet werden, in den Selbstmord getrieben werden und auf die Seite derer die verschwinden, ohne eine letzte Nachricht hinterlassen zu können. Und am Ende könnte es uns treffen. Die Menschen in den Instagram Posts, die ich mir anschaue, die vor Ort als Zufallsjournalist*innen von Unrecht, von Gewalt und von Verzweiflung berichten, diese Menschen könnten bald wir selbst sein. Deswegen gibt es gerade für mich keine Nichtbetroffenheit. Die Bedrohung ist global, die Antwort muss ein Zusammenhalt sein, der sich über den Globus spannt, eine Solidarität, die uns alle eint und eine Stimme die vielfältig in den schönsten Tönen antwortet auf das Grau der Anzüge , der Uniformen und Dienstwagen und die einheitliche arbeitssame Stille, die uns allen droht, wenn wir denn fähig sind zu folgen.

Johanna nion Blau, 11.07.2025

Über Sterbende Einhörner

Warum müssen so oft Einhörner sterben? Es gibt so viele Bücher, Filme und andere Kunstwerke, in denen das „Gute gegen das Böse“ antritt und ein Bild dafür, dass es ganz finster aussieht, ist, wenn ein Einhorn bedroht oder gar getötet wird.
In dem Buch und Film „Das letzte Einhorn“ verlässt das Einhorn auf der Suche nach den anderen seinen Wald. In dem Film „Legende“ macht eine junge Frau durch ihre Berührung ein Einhorn sterblich und böse Mächte töten es daraufhin. Bedrohliche Finsternis ist die Folge und das Böse steht kurz vor der Machtergreifung. Dieses Bild: Der Inbegriff der Reinheit, Unschuld gepaart mit Magie und Macht liegt am Boden, des Horns beraubt. Dann die schlimmen Auswirkungen auf die Umgebung, sogar die gesamte Welt.

Warum fühle ich mich so von diesen Geschichten angezogen? Warum berühren sie etwas tief in mir? Das Einhorn als Fabelwesen ist wie oben beschreiben eine Paarung aus Macht und Güte, es ist das pure Gute in der Welt, wenn mensch so will. In der Geschichte „Das Letzte Einhorn“ wissen die Leute, die dem Fabelwesen begegnen, gar nicht, wem sie gegenüberstehen, als Mummy Fortuna es im Schlaf einfängt, muss sie ihm ein falsches Horn anzaubern, damit die Menschen nicht nur eine weiße Stute sehen. Das Magische und das ausnehmend gute haben keinen Raum mehr in der stoischen Menschenwelt. Erst der Zauberer Schmendrick, der es befreit und dann die Räuberin Molly Gru sehen das Fabelwesen, als das was es ist.

Ich frage mich, ob ich ein Mensch wäre, der ein Einhorn sehen könnte. Sehe ich auch das Gute in den Menschen, die mir begegnen, oder haben meine gemachten Lebenserfahrungen, mich der Fähigkeit beraubt, die gute Magie in den anderen zu erkennen? Ich muss etwas darüber nachdenken. Offen gehe ich auf mir unbekannte Menschen zu, aber ich habe meine Schubladen und Kategorien, in die ich Menschen einsortiere, sobald ich ihnen begegne. Die Person wird mit anderen Leuten verglichen, die ich schon kenne und mit denen ich Erfahrungen gesammelt habe. Die Bereitschaft, darüber hinauszuschauen und der Person, die mir begegnet eine Chance zu geben, habe ich in den meisten Fällen. Nur wandelt sich mein Kompass gerade, und ich lasse mir nicht mehr so viel erzählen und gefallen. Die Kompassnadel soll wegzeigen von Menschen, die mich als emotionalen Mülleimer brauchen wollen oder mich anderweitig ausnutzen wollen. Ist nun meine Angst begründet, dass ich dadurch die Magie der Menschen und auch Tiere nicht mehr sehe, weil ich mir nicht mehr so viel erzählen und gefallen lassen will?

Was ist mit der jungen Frau, die in „Legende“ das Einhorn durch ihre Berührung verletzbar macht? Könnte das nicht für die Erfahrung stehen, als Person von anderen enttäuscht zu werden, von denen ich dachte, sie sie tun mir etwas Gutes? Die junge Frau hat keine bösen Absichten, sie möchte nur eine schöne Erfahrung machen, aber das hat die schlimmsten Auswirkungen auf das Einhorn. Es ist so, als würde ein junger Liebhaber sich keine Vorstellungen machen davon, wie tief die erste Liebe seines Objektes der Begierde sein könnte. Er will erobern, sie will nur ihn. Die Ernüchterung und die tiefe Wunde an der Stelle, wo vorher ein gesundes, starkes liebendes Herz schlug, ist mit dem Bild eines nun sterblichen Einhorns, denke ich gut eingefangen. Das Einhorn ist nun verletzlich für alle bösen Mächte und die Verlassene ist offen für alle, die da kommen, um sie nochmals zu verletzen. Das ist das, was sie erlebt hat, das ist das, was sie kennt. Ihre innere Stimme wird ihr sagen: „Es ist so passiert, ich verdiene nichts anderes. Her mit den anderen Verlorenen Seelen.“

Die Wellen im Meer sind so schön, wie die Mähnen abertausender Einhörner, die sich bis kurz vor die Wasseroberfläche trauen und da ihre Schönheit, denen preisgeben, die sehen und dem, der sie gefangen hat. Das Einhorn, Molly Gru und Schmendrick haben die Einhörner gefunden auf der Suche nach dem Roten Stier. Der Rote Stier wird versuchen, das Einhorn ins Meer zu treiben zu den anderen, daraufhin lässt Schmendrick seine Magie „tun, was sie will“ und aus dem Einhorn wird eine junge Frau, wie gerade geboren und so magisch noch, dass sich nichts in ihren Augen spiegelt. Haggard nimmt sie zu sich, lässt Schmendrick als Hofnarr und Molly Gru als Köchin für sich arbeiten, sein Sohn verliebt sich in die Lady Amalthea und bringt ihr die Trophäen seiner Heldentaten, da weiß sie schon nicht mehr, was sie so traurig macht beim Anblick eines abgeschlagenen Drachenkopfes. Letztlich werden sie zusammen, die Zeit, den Raum und den Roten Stier besiegen. Sie befreien die Einhörner, was den Tod für Haggard bedeutet. Der Alte „Liebhaber“, der sie alle haben wollte für sein Vergnügen, wird mit seiner steinernen Festung zerfallen, die von den trampelnden Hufen seiner vormals Gefangenen zum Einsturz gebracht wird.

Das Einhorn wird während der Suche immer mehr zum Menschen, sie verliebt sich in Prinz Lir. Sie vergisst oft, was der Grund ihrer Reise war. Sie erkennt sich selbst nicht mehr. Wie oft, wenn wir uns verändern, verlieren wir uns gefühlt zeitweise. Die Transformation wie in einem Raupenkokon, die Form, die uns danach ausmacht, das alles ändert, wer wir sind. Oder ist nicht, wer wir sind, schon vorher festgelegt, wir werden nur endlich unser wahres Selbst? Oder ist nicht doch die Wandlung im Außen Grund für die Wandlung im Innen?

Was ist die Antwort darauf für mich? Meine Handlungsmuster machen mich zu großen Teilen aus, sie beruhen auf Erfahrungen, die ich gemacht habe. Um dieses Muster zu ändern, was mein Wunsch ist, mache ich sie mir bewusst. Und ich mache mir bewusst, welche Muster ich als Ziel für mich wähle. Das Ziel für mich heißt: sichere Bindungen eingehen, mit Menschen, denen ich vertrauen kann und die sich auf mich gefühlsmäßig einlassen können. Also in anderen Worten: ich möchte Liebe empfangen und geben können. Und das ohne, dass frühere Verletzungen meinen Gefühls-Kompass beeinträchtigen können, beziehungsweise ich mir dieser möglichen Beeinträchtigung bewusstwerde und gegenhalten kann.

Um mit der Metapher des Einhorns zu sprechen, dass sich zu Lady Amalthea wandelt, so die Liebe erfährt und sie letztlich auch erwidern kann: In ihrer neuen Form legt sie alte Muster weitestgehend ab, findet neue passendere für sich. Als sie ihre eigentliche Form wiedererhält und ihre Macht zurück über Leben und Tod, behält sie das Gefühl Liebe in sich. Sie ist für immer verändert, verwandelt. Sie ist das erste Einhorn, das Liebe kennt. Sie belebt Prinz Lir, der als Held für Lady Amalthea gestorben ist. Sie verabschiedet sich von ihm und geht zurück in ihren Wald, in ihre gewohnte Umgebung. Die Liebe als unsterbliche Kraft, die alle Formwandlung überdauert. Ein frommer Wunsch oder ein mögliches Ziel?

In „Legende“ wird das Böse besiegt, die Sonne kehrt zurück. Das weibliche Einhorn erwacht wieder zum Leben, nachdem es sein Horn zurückbekommen hat. Es ist wieder vereint mit seinem Partner. Ende gut, alles gut. Im Märchen muss das Böse besiegt werden, im Innen und im Außen, damit das Gute gedeihen kann. In meiner Lebensrealität muss ich die Balance finden zwischen Vertrauen und Vorsicht, zwischen Bindung und Autonomie, zwischen dem Fokus auf mein Selbst oder auf mein Gegenüber. Hat mir die Metapher des bedrohten und sterbenden Einhorns dabei eine Einsicht gebracht?

Meine Transformation kann nur im Austausch mit anderen vonstattengehen, in einem einsamen Elfenbeinturm werde ich mir zwar Ziele setzen können, aber erreichen werde ich diese nur indem ich mich auf andere einlasse. Der Gefahr der neuerlichen Verletzung setze ich den Schutz und die Macht meiner eigenen Magie entgegen. Mein Bauchgefühl ist ein wichtiger Indikator für wohltuende, wertschätzende Menschen und Erfahrungen. Begegne ich Menschen unaufgeregt und in einer entspannten Gefühlslage, bin ich in der Lage sie zu besser lesen und zu erkennen, was sie für Absichten mir gegenüber hegen. Ich erkenne dann auch besser ihr Wesen und was ihre Magie ausmacht. Darauf reagiere ich.

Und möglich wird das Kennenlernen von Lieblingsmenschen, das Ausbauen von schon bestehenden Bekanntschaften, das Finden der Personen, mit denen ich Bindungen eingehen möchte. Das ist mein einzigartiger Weg zu Vertrauen und Liebe in dieser Welt. Und ich bin mit Verena König einer Meinung. Sie hat das Buch: „Trauma und Beziehung“ geschrieben, welches ich gerade lese. Und sie schreibt: „Ich wünsche mir, dass all die Menschen, die im Stillen leiden, meisterlich kompensieren oder mit letzter Kraft funktionieren, aus dem Schatten ins Licht treten können, wo sie gesehen werden, und wo heilsame Veränderung stattfinden kann.“ Sie fragt sich und auch mich als lesende Person, wie anders unsere Gesellschaft wohl wäre, wenn sich alle Menschen mit diesem Thema auseinandersetzen würden. Meiner Meinung nach, wäre dann Heilung im Innen und im Außen möglich. Und endlich auch Frieden.

Johanna nion Blau, 10. März 2025

Steter Tropfen – Das Weinen des Wassers

Das Wasser in mir tanzt an die Oberfläche. Der Regen draußen will mein Herz mit sich schwemmen. Ich sitze regungslos da. Nur meine Finger drücken sich aus auf der Tastatur. Was gesagt werden will, erscheint auf dem Bildschirm, der mich blendet. Gefühle schwemmen gegen meine Stimmung; die Wellen brechen gegen den Strand. Ich werde wieder weinen. Schwarze Perlen, gewaschen in meinen Tränen, sind die Worte, die ich hervorbringe, aus den Tiefen meiner Suche vor dem unendlich hellen Nichts.

Wie kann ich leben in dieser Welt? Das ist die Frage. Gerecht und glücklich sein? Wie leben in einer Gesellschaft, die ungerecht handelt und Unglück fördert? Warum fragen alle: Warum geht es dir nicht gut?

Der Grund ist ein ausgetrockneter Brunnen, ein trockenes Flussbett, die Erinnerung an einen See, das schmelzende Eis der Pole und der Gletscher, der Starkregen, der fruchtbaren Boden hinwegwäscht, die Menschen, die ertrinken ohne Rettung. Die Dämme, die teilen, die Pumpen, der Ungerechtigkeit, das Wasser, was teuer verkauft oder vergiftet wird und bald vielleicht verdampft.

Werden die Tränen versiegen in den nächsten Tagen? Dann heißt es wieder: Alles Gut! Und ich meine: Es geht wieder, denn ich denke nicht mehr so viel nach. Aber ist das der Sinn dahinter, klarzukommen? Ist es sinnvoll zu ignorieren und sich mit sonst was abzulenken. Sollte ich nicht besser ins Handeln kommen und aufs Pferd steigen, um die obligatorischen Riesen zu jagen? Mit Hilfe eines treuen Begleiters. Wenigstens das?

Wer weiß, ich kann gerade nichts entscheiden und auch will ich nicht wieder überrollt werden. Gerade ist es an der Zeit in mir und um mich herum aufzuräumen. Die Gedanken und Gefühle im Wasserglas zu betrachten, zu sinnen und immer wieder und gegen alles anzutanzen; wie das Wasser, das stetig den Stein höhlt und Canyons entstehen lässt, deren Anblick mein Ego schmelzen lässt.

Johanna Blau, 27.07.2023

Darüber Sinn im Wahnsinn zu finden

Von Johanna Blau, am 21. Mai 2020

Verstörende Inhalte schaue ich mir an, um herauszufinden, warum Menschen so ticken. Ich ergötze mich nicht daran. Meine Denkmaschine läuft auf Hochtouren, schon wenn ich Verhalten sehe, was unsolidarisch zu sein scheint. Schlimmer noch, wenn es gewalttätig und auch psychopathisch ist. Früher habe ich vor allem Filme und Bücher des Horrorgenres gesehen und gelesen. Das hat mir einen Teil der Welt erklärt, den ich mir aus mir selbst heraus nicht erklären konnte. Warum machen Menschen schlimme Dinge? Warum verletzen Menschen andere Menschen? Warum töten Menschen Tiere, um sie zu essen und erzählen mir dann noch das sei normal?

Für mich ist kooperatives Sozialverhalten die Regel, nicht die Ausnahme. Damit bin ich die Ausnahme von der Regel in unserer heutigen Gesellschaft. Ellenbogenverhalten und Konkurrenzdenken wird hier doch jeder/m eingetrichtert. Solange, bis es nicht mehr angebracht zu sein scheint, andere Leute zu unterstützen, die um Hilfe bitten. Seit meiner Kindheit arbeitet dieses Bild des „starken Individuums“ in mir, aber ich will es einfach nicht akzeptieren. So oft ich auch verarscht wurde, oder bestohlen oder angeschrien, ich habe mich nicht „angepasst“ oder meine Schutzschilde hochgefahren.

In den meisten Fällen gelingt es mir so auch, aus unangenehmen Situationen herauszukommen Vielleicht nur, weil der oder die Andere so perplex ist, dass ich nicht einsteige, sondern höflich und freundlich bleibe. Natürlich ist das nicht immer angebracht. Auch ist es anstrengend andauernd das Gefühl zu haben, ich müsse verstehen, warum mein Gegenüber so reagiert. Oft habe ich früher den Fehler bei mir gesucht. Nicht wirklich eine gesunde Reaktion.

Was ich mir bis heute beibehalten habe, ist meine stoische Hilfsbereitschaft und die Überzeugung, dass die Menschheit grundsätzlich in der Lage ist, den Karren, also die Welt, nicht vollständig vor die Wand zu fahren. Da ist es dann aber auch zum Verzweifeln, wenn zum Beispiel die Klimakrise nicht ernst genommen wird, von den Leuten, die wichtige Entscheidungen zu treffen vermögen. Und alles eher immer schlimmer zu werden scheint, wie zum Beispiel in Brasilien, wo Holzfäller mehr Wald als je zuvor roden oder abfackeln, und wo Indigene Menschen ermordet werden, wenn sie den Wald schützen.

Es gibt viele komplexe Probleme, die gelöst werden müssen. Es gibt viele Konflikte, die beigelegt werden müssen, es gibt viele Krisen – im privaten, wie global, die bewältigt werden müssten. Wo anfangen, wo aufhören, ohne sich selbst aufzureiben oder in der Psychiatrie zu landen. Es ist eine Frage der Balance. Wofür will ich mich einsetzen? Wie viel Energie kann ich aufbringen dafür zu kämpfen, dass mein Anliegen Erfolg hat? Welches Wissen und welche Erfahrungen kann ich beisteuern? Und dann gilt es aktiv zu werden, sich zu vernetzen und etwas voranzubringen.

Ich persönliche engagiere mich im Natur- und Umweltschutz und für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Beide Anliegen sind mir wichtig, ich setze mich für sie ein. Ich bin überzeugt: Wir sind Natur und die gefühlte Trennung, die mit unserer Zivilisierung und Sozialisierung einhergeht, macht Menschen krank. Durch persönliche Krisen, habe ich erfahren, dass die Natur mich heilt, sobald ich sie um Hilfe bitte. Das kann durch Pflanzenwirkstoffe passieren aber auch bei einem Waldspaziergang. Während einer meiner Krankheitsphasen löste sich die Trennung, die ich wie alle anderen von Allem fühlte, auf und ich empfand eine Verbindung mit allen Wesen und Dingen. Überwältigend und wahr fühlte sich das an. Als wäre ein Schleier gefallen zwischen meiner Wahrnehmung und der Wirklichkeit.

Das alles habe ich in der Psychiatrie erlebt und mir selbst lange nicht eingestanden, dass diese Erfahrung nun zu meinem Leben gehört. Schließlich war ich ja krank und habe einfach halluziniert. Wenn aber sich eine Sinnestäuschung sich so eindrücklich wahr anfühlt, was hat dann das Wissen für einen Wert, was mir von meinen Mitmenschen vorher „eingetrichtert“ wurde?

Mein kritischer Umgang mit Meldungen und Nachrichten und vor allem die Frage „Welche Quelle?“ schützt mich bisher gut vor Verschwörungstheorien jeglicher Art. Doch diese Erfahrung am eigenen Leib lässt mich nicht los. In progressiven Gemeinschaften ist es oft verpönt, gläubig, spirituell oder esoterisch interessiert zu sein. Wiederum erfährt in diesen Kreisen die Wissenschaft nahezu religiöse Verehrung. Mein Interesse gilt daher auch der Quantenphysik, die überwältigende, Erkenntnisse offenlegt und unser aller Horizont im Kleinsten aufs Unendliche erweitert.

Auch die Arbeit mit dem Tarot lässt mich erfahren, wie sehr alles verbunden ist und wie wir uns selbst in der Deutung von Symbolen wiederfinden und darüber hinaus sonst dunkle Flecken unsere Seele beleuchten können. Was ist Zeit? Was ist festgeschrieben in unserem Lebensplan? Ist alles Ödipus-gleiches Schicksal oder auch erfrischend chaotische Entwicklung? Ist alles unvorhersehbar, vielleicht zerstörerisch, vielleicht aber auch Platz schaffend für neue Möglichkeiten? Was haben wir davon in der Hand? Meine Antwort für mich: Natürlich habe ich alles in meiner Hand, sobald ich frei und ohne Furcht mit allem möglichem Wissen und allen gemachten Erfahrungen entscheiden kann und darf.

Hajo Banzhaf schreibt in seinem Buch „Zwischen Himmel und Erde“: „Ich glaube, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir verstehen, dass drei Begriffe, die wir heute kaum als zusammengehörig betrachten, dasselbe beschreiben. Diese Begriffe sind: Zufall, Schicksal und Unbewusstes. Es scheint, dass unser Unbewusstes Situationen, Gegebenheiten, Begegnungen und Erfahrungen erschafft, die wir als Zufälle erleben, die letztlich im besten Sinne unser Schicksal ausmachen.“

Oder wie es Paulo Coelho schreibt in “Der Alchimist“: „Und wenn du etwas ganz fest willst, dann wird das gesamte Universum dazu beitragen, daß du es auch erreichst.“ Das habe ich heute wieder gelesen in einem Interview von Oprah mit Paulo Coelho. Dieses Wissen, was auf Erfahrung fußt, will ich in mir bewahren und bin auch, so denke ich, stur genug das zu tun. Was auch immer für Ärzte oder andere Fachleute kommen und mir erzählen ich hätte eine ererbte Stoffwechselstörung im Gehirn, die sich in Halluzinationen, Paranoia und Affektstörungen äußert; das was ich erlebt habe, war für mich keine zusammenhangslose Folge von Bildern und Erinnerungen. Wie meine Träume und Alpträume, konnte ich es deuten. Es hat für mich einen Sinn ergeben, auch wenn dieser für andere Menschen schwer nachzuvollziehen war und oft noch ist.

Ob Menschen nun stressinduzierte Psychosen durchmachen, einen Drogenrausch erleben oder eine Nahtoderfahrung, sie berichten von ähnlichen Phänomenen. Andere Menschen, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben, wollen sie in den meisten Fällen lieber von sich fernhalten. Dies ist ihr gutes Recht. Jedoch Menschen nicht ernst zu nehmen oder diese aufgrund solcher Erfahrungen zu stigmatisieren, ist ein Problem und wird weiterhin für Konfliktpotential innerhalb usnserer Gesellschaft sorgen.

Die Erfahrungen während meiner Psychose haben mich erschreckt aber eben auch bereichert. Durch die Krise erlebte ich Konflikte wieder, machte meinen Frieden damit und mit mir nahestehenden Menschen. Auch bekam ich Zugang zu meiner lange unterdrückten Wut und lerne weiter mit diesem wichtigen Gefühl umzugehen. Die Krise gestaltete sich für mich als Prozess, der lange gescheute Weiterentwicklung oft erst möglich machte.

Unser Bewusstsein gewöhnt sich so schnell an Wunder. So wunderlich ist es, dass ein Baum einen Apfel wachsen lässt, den ich genießen kann und der mir wertvolle Nährstoffe schenkt. So wunderlich ist es, dass wir einander Gefühle entgegenbringen, die sich doch auch schwerlich messen lassen. In dieser Welt, wie Jostein Gaarder’s Sofie, sich einmal wieder fremd zu fühlen und anfangen zu staunen, um aus dem Staunen nicht mehr herauszukommen. Damit wäre viel und vielen geholfen, denn diese Wunderwelt zu schützen, ist dann sicherlich mehr und mehr Menschen eine Herzensangelegenheit. Dann ist es egal, woran sie glauben, wegen welchen Erkenntnissen sie helfen oder warum sie sich für etwas einsetzen. Das daraus entstehende Gefühl der Gemeinschaft, wird hoffentlich viele animieren und inspirieren andere zu unterstützen. Das „Wir-Gefühl“ jenseits des „Jede/r für sich“ ist Teil der Lösung, nicht Teil des Problems.

Dieses unser Universum ist aus mehr gemacht als aus Materie oder besser: auch die Materie besteht aus Energie. Das sich immer vor Augen zu halten und sich damit bewusst zu machen, dass wir noch lange nicht alle Antworten wissen, noch nicht mal alle Fragen gefunden haben, die wir stellen müssten, hilft mir, mich in Bescheidenheit zu üben.

Wenn ich Synchronizität erlebe, fühle ich mich geleitet. Synchronizitäten sind Erlebnisse die in Zusammenhang stehen, mit dem was ich vorher gelesen, gehört oder gedacht habe. In meiner Psychose hatte ich Phasen, da reihte sich ein solches Erlebnis an das nächste. Jeder/m steht frei, dass als Krankheitssymptom einzuordnen. Mir sollte es jedoch frei stehen, einen Sinn in diesem Erleben zu finden. Und für mich ist dieser Sinn auch immer noch zu erkennen. Jahre nach dem Erleben, bin ich überzeugt, mich erst durch diese Erfahrungen weiterentwickelt zu haben. Sinnsuche führte mich über Wahnsinn zu Sinnfindung. Vielleicht regen diese meine Überlegungen andere an, über Wahnsinn und seinen Sinn für unsere Gesellschaft auch abseits von Kunstwerken etwas zu sinnieren.

JB, Mai 2020

Nachtrag: November 2020

Die Absicht dieses Textes ist es, zu hinterfragen: Die allgemeine Meinung, Vorurteile und gängige Sichtweisen. Ich versuche damit aufzuzeigen, dass das Bild der Verrücktheit sich für mich gewandelt hat, seit ich selbst sie erlebt habe und ich möchte Einblick darin geben, wie ich diese Krankheit erlebe. Ich will nichts beschönigen, ich will nichts romantisieren. Aber ich möchte dazu herausfordern das sich die Leser:innen Gedanken machen und ebenso wie ich eigene Ansichten hinterfragen. Wenn mir das gelungen ist, dann freut mich das. Wenn nicht hoffe ich, die Kritik erreicht mich und ich kann meine Gedankengänge das nächste Mal vielleicht anschaulicher umsetzen. Auf alle Fälle vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Liebe Grüße, Johanna

thing with a face, Foto: JB 2013

Über Balance

Balance ist für mich grundlegend und ausschlaggebend für so Vieles. Wenn ich sie verliere, wartet das Chaos. Emotional. Irrational. Strukturell. Dann ertrinke ich in Erlebtem, Ausgedachtem und Zukünftigem. Die Zeit ist keine gerade Linie mehr, sie umschlingt mich. Die vielen Möglichkeiten rauben mir den Atem.

Wer könnte ich sein? Was habe ich verpasst? Wie kann ich das wieder gutmachen? Was könnte ich schaffen? Und dabei kann mir keine*r wirklich helfen. Während dies alles meine Gedanken beschäftigt, kann es sein, dass ich einkaufe, Wäsche abhänge oder mit Freund*innen rede. Meine Innenwelt ist für andere so gut wie unsichtbar. Die Zweifel, die Unsicherheit, die Verzweiflung, auch die knallige Euphorie. Ich funktioniere, während ich tagträume.

Will ich das? Diese Schere aus Alltag und Traum ist gefährlich. Gerade wenn sie zu sehr auseinander klafft, droht sie meinen Bezug zur Wirklichkeit zu zerschneiden. Soviel Energie in dem was ich will. Wie kann ich das nutzen?

Die Frage ist doch: Wer bringt mich dazu etwas zu wollen? Wer sagt mir, was gut für mich ist und was schlecht? Zu Anfang sind das die Eltern, die ihrerseits von ihren Eltern gelernt haben. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich wurde geprägt durch Ältere, die Erfahrung haben und diese mir weiter vermitteln wollen.

Doch ist das alles? Wie wäre Fortschritt möglich, wenn es so wäre? Ich träume andere Träume als meine Eltern. Ich wünsche anders, ich lebe anders, ich liebe auch anders. Wo kommt das her? Nur aus den Medien? Diese Prägung seit früher Kindheit ist nicht zu unterschätzen. Mir wird etwas vermittelt, ich lerne daraus. Suche mir Vorbilder, himmele Menschen an, die mir noch nie begegnet sind. Schau mir an wie sie leben und versuche vielleicht ihnen nach zu eifern.

In meiner Jugend habe ich mir in meiner Fantasie ein Alter Ego erschaffen. In Tagträumen ließ ich die wunderhübsche, smarte Frau auf meine Idole treffen und mit ihnen Abenteuer erleben. Ich war 14 Jahre alt, wohnte auf dem Dorf und war in mir gefangen. Mein Spiegelbild entsprach nicht dem Ideal der Stars in der Bravo. Ich empfand mich als langweilig und nicht wert, gemocht zu werden.

Die Tage zogen sich in die Länge. Ich las viel. Schaute viel Fern. Ich träumte mich ein in diese Welten und entschwand in meine Träume.

Was mich angeht, habe ich mich verändert. Durch Krisen bin ich aus dem Käfig meiner Selbstwahrnehmung ausgestiegen und habe mich von Außen und durch die Augen anderer betrachtet. Ich habe darüber nachgedacht, was mir wirklich wichtig ist. Die Energie für Projekte wie Schreiben, Fotografieren und auch die Liebe finde ich mehr und mehr.

Nicht wirklich mein Äußeres hat sich verändert. Meine Einstellung hat sich geändert. Ich nehme eine andere Perspektive ein. Ich bewerte nicht mehr ständig mich oder Andere. Ich lege keine Maßstäbe mehr an. Ich bin.

Wenn ich Werbung schaue, dann ist das eine Welt, mit der ich nicht mehr viel zu tun habe. Statussymbole, Dinge, die mich festhalten in Rollen, die mich festhalten in Lebensläufen. Das alles spricht nicht mehr zu mir.

Wie kann ich den Unterschied vermitteln? Etwas zu haben, um etwas zu sein. Erich Fromm hat das durchschaut. Ich habe mich etwas mit seiner Sichtweise beschäftigt. Ich habe gelesen und adaptiert. Und wie Fight Club zu sehen, hat es etwas ausgelöst. Es ist so, als ob ein Vorhang fällt und ein wunderschöner, mir unbekannter Raum sichtbar wird, in einem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Abenteuerlustig erkunde ich diesen Raum und finde dabei nichts Greifbares.

Was ich finde, sind Möglichkeiten, was ich finde sind Fragen. Seitdem lerne ich täglich zu hinterfragen. Ich schaue hinter Vorhänge und fordere mich dazu heraus, um Ecken zu denken. In einer Welt, in der es viele gerade Straßen gibt, erweitert das meinen Horizont. Egal, ob es mein Denken ist oder etwas, was andere in Gesprächen äußern, ich hinterfrage. Dabei ist nicht Politische Korrektheit oder Bürgerliche Moral mein Maßstab. Ich orientiere mich an der Balance. Diese muss ich abgrenzen von Neutralität, denn mein Bauchgefühl ist ein wichtiger Faktor auf meinem Weg durch den Wertewald.

Ich spüre dabei unangenehmen Gefühlen nach. Denn wenn ich auf diese stoße, finde ich oft eine Lektion über mich und mein Selbstverständnis. Ein Beispiel ist, als ich, in meinem mit vielen Büchern voll gestopftem Zimmer, etwas gesucht und nicht gefunden habe. Ich hamstere Bücher für schlechte Zeiten. Nur fühlt es sich zur Zeit so an, als würde ich die ganze Zeit einen riesigen Rucksack ungelesener Bücher mit mir herumtragen. Dazu kommt, dass ich noch immer meine Sachen gefunden habe, zwischen all den Dingen. Nun war das nicht mehr der Fall und mir wurde klar, dass sich etwas ändern muss. Ich muss mich von vielem trennen, Ballast abwerfen um beweglicher zu sein. Das fällt mir sehr schwer, aber es wird sich hoffentlich irgendwann anders anfühlen. Wie so oft nach einer Krise, werde ich vielleicht daran wachsen und neue Wege für mich entdecken.

JB-02-12-2019

Selbstportrait JB