Vom Werden und Vergehen

Ich muss an Mascha Kaléko denken und ihre „paar Leuchtenden Jahre“. Vor dem Fenster sitze ich, denke an Mascha und schreibe mir die Seele aus dem Leib. Wenn ich wüsste, würde ich wohl verstummen, so mein Bauchgefühl. Ich bin hier und jetzt und ich schreibe. Die Zukunft hat aufgehört zu scheinen. Sie kriecht durch meine Gedanken, wie ein verwundetes Tier, faucht mich an, fährt die Krallen aus. Sie läuft auf einem trügerischen Teppich aus Tod, Gier und Verwüstung. Die Sache ist die, ich hoffe noch darauf, dass dies der Anfang von etwas Schönem sein könnte. Ich hoffe, darauf, dass die Herrscher dieser Welt sich in Luft auflösen, das Geld seinen überhöhten Wert verliert und wir wieder anfangen, Gemeinschaften und eigenes Wohlbefinden als verwirklichbare Ziele zu teilen.
Muss den erst alles zerstört werden, Menschen umgebracht oder für ihr Leben gezeichnet werden? Müssen wir denn wirklich erst so sehr leiden, bis wir verstehen, was zu tun ist?
Ich sitze am Fenster meines Zimmers. Das Grün auf der anderen Straßenseite erinnert mich an den Kreis vom Werden und Vergehen; von Knospe, Blüte, Frucht, Knospe, Blüte, Frucht.

Dieses Wissen, dass es auch hätte schön sein können, frisst meinen Verstand. Bis ich mich hinsetze, den Laptop aufklappe und anfange zu schreiben. Diese gefühlte Klarheit bricht sich Bahn. Die fluoreszierenden Murmeln spiralen hinab in den Nebel des Morgen. Und es ist okay für mich.
Aber ich frage mich: Was kann ich tun? Was kann ich tun, damit es aufhört für andere gerade so schlimm, so schrecklich, so tödlich zu sein. Wir beschwören die Liebe, wir beschwören die Kunst, wir beschwören die Gemeinschaft. Müssten nicht, die die die Waffen bauen und verkaufen ein Gewissen haben? Müssten nicht die, die Heere anführen, sich dazu entschließen, sie wieder auf die Arbeiten des Lebens zu verteilen, statt auf die Arbeit des Todes und der Zerstörung?

Allen, welche leiden, allen, welche sich auflehnen, allen, welche mit allen Mitteln kämpfen: Euch gehören meine Gedanken. Mein Herz schlägt euch zu. Und wenn ich stärker wäre und wenn ich robuster wäre, wäre meine Stimme weiter, lauter und bestimmter. Ich bin ich. Es ist ein revolutionärer Akt allein damit zufrieden zu sein. Selbstliebe ist für vieles ein Anfang. Danke bell hooks.

Mein restliches Leben könnte ich mich damit beschäftigen, jeden Zweig und jedes Blatt an dem Baum auf der anderen Straßenseite zu beschreiben. Das werde ich nicht tun. Ich bin Zeugin. Wovon? Einer Zeitenwende, einer Revolution, Evolution, dem Weltuntergang? Es gibt mir eine trügerische Sicherheit in die Karten zu schauen. Sie zeigen Leben, sie zeigen Zukunft. Meine Augen will ich vor dem Tod jedoch nicht verschließen. So viel Tod und Leiden. Ich werde hinschauen. Ich werde schreiben.
Dankbar bin ich für die Existenz von Freude bei all dem Leid, von Freundschaften, bei all dieser Feindschaft, von Liebe, die hoffentlich den Hass in die Schranken weisen wird.

Weise Worte habe ich verinnerlicht, heute geht es mir ums Schreiben. Damit die Mauer zwischen mir und meinen Gedanken, nicht mehr so hoch aufragt vor meinem Gesicht und ich wieder die Bäume auf der anderen Straßenseite bewundern kann. Der Himmel ist blau. Die Mauersegler liefern sich einen Wettkampf und rufen sich zu: „Ich bin schneller, ich habe gewonnen, ich bin Sieger.“ Vielleicht hat es so angefangen? Das Ende ist noch nicht geschrieben. Darauf liegt meine Hoffnung. Streckt sich aus wie eine Katze, die in der Sonne badet. Unbekümmert, so lange alles zu sein scheint wie immer.

Johanna nion Blau, 19.06.2025

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..